Das sternenlose Meer - Erin Morgenstern

 Vielen Dank an den Blessing Verlag für dieses kostenlose Rezensionsexemplar.


Preis: 22,00 € (Gebundene Ausgabe) | 12,99 € (eBook)
Seitenanzahl: 640
Erscheinungsdatum: 25. Mai 2020
Verlag: Karl Blessing
Originaltitel: The Starless Sea

Beschreibung: 
Eigentlich arbeitet Zachary Ezra Rawlins an seiner Promotion, doch er kommt nicht weiter. Denn immer, wenn er in der Bibliothek ist, sucht er ein Buch auf, das zwischen den Regalen versteckt liegt. Ein Buch, in dem Zachary eines Tages eine Schilderung seiner eigenen Kindheit findet. Aber wie ist das möglich? Auf der Suche nach dem Geheimnis dieses Buches entdeckt Zachary eine unterirdische Welt voller Bücher am Ufer eines sternenlosen Meers, wo er schließlich eine Verschwörung aufdecken und für die Liebe seines Lebens kämpfen muss.


Meine Meinung:

Ich taumele. Ich taumele und weiß nicht mehr, wo unten, wo oben ist, und all das nur aufgrund der Lektüre dieses Romans, der mit Magie und Fantasie spielt, und dennoch so nah an der Realität ist, wie kaum eine andere Geschichte. Denn was ist schon Fiktion und was ist Realität? Wo trennt sich das eine von dem anderen ab, und ist es nicht eigentlich sowieso so, dass Fiktion immer in uns selbst weiterlebt, also mindestens genauso echt ist wie das Leben selbst? 

"Ein Buch ist eine Interpretation. [...] Man wünscht sich zwar, dass ein Ort so ist wie im Buch, aber es ist kein Ort in einem Buch, sondern nur Worte. Du willst an den Ort in deiner Fantasie, und der ist imaginär. Das hier ist real."

Hach, Erin Morgenstern ist grandios. Sie ist eine Meisterin des Geschichtenerzählens, und schreibt Bücher, von denen man sich wünscht, dass sie niemals enden würden. Obwohl ich schon ein großer Fan von Der Nachtzirkus war, und mir somit durchaus bewusst war, dass diese Frau Grenzenloses erschaffen kann, hätte ich nicht gedacht, dass sie mich noch einmal mindestens genauso sehr aus den Socken hauen kann wie mit ihrer letzten Geschichte. Besonders interessant an dieser ist, dass der Roman sich nur allzu sehr seiner eigenen Existenz bewusst ist, und genau durch dieses Prinzip hat Morgenstern es geschafft, eine einzigartige Konzeption zu schaffen, in der die Erzähltheorie mit der eigenen Erzählung in Verbindung tritt, sich in ihr aufhebt und verneint, um sich letztendlich wieder noch stärker zu bejahen. Diese Beschreibung ist fabelhaft verwirrend, macht aber im Horizont der Geschichte tatsächlich Sinn. Wenn ihr euch also einen sternenklaren Pfad durch meine wundervollen Irrwege suchen möchtet, ohne euch auf labyrinthhafte Abwege zu begeben, rate ich euch dringlichst, das Buch selbst zur Hand zu nehmen.

"Und so vergeht die Zeit weiter nach Plan, und Ereignisse, die einst durch das Schicksal vorherbestimmt waren, regiert nun der Zufall, und der Zufall ist nie lange in irgendetwas verliebt."

Dieses Buch ist eine Hommage an die Rolle und Funktion der Literatur, eine Ode an die Fiktion, im Bezug auf die Verarbeitung aber auch dem Eskapismus von Realitäten, allesamt gekrönt durch Erin Morgensterns wahnsinniges Schreibtalent, das mich schon in Der Nachtzirkus begeistern konnte. Die Autorin verpackt ihre Erzählung erneut so bildlich, dass man meinen könnte, sie wäre ganz nah an der eigenen Realität. Die Restdistanz bleibt natürlich durch die eigene Reflexion als Geschichte innerhalb des Buches, und dennoch beginnt man immer wieder mit dem Gedanken zu spielen, ob und wie die Grenzen von Realität und Fiktion verschwimmen können. Morgenstern bietet hier auch einige Vorschläge innerhalb des Buches an, wobei dem Leser natürlich die eigene Interpretation überlassen ist, die allmögliche Varianten zulässt. 
Einen kleinen Mängel empfinde ich aber tatsächlich seitens der Übersetzung. Als ich mir einige Zitate des originalen englischen Textes angeschaut habe, stach die blumige, beinahe lyrische Sprache besonders heraus. Von dieser ist im Deutschen leider nicht allzu viel übrig geblieben, und manchmal hatte ich auch beim Lesen das Gefühl, über Formulierungen zu stolpern, die einfach nicht besonders schön klangen und die man sicherlich synonym besser hätte übersetzen können. 
Dennoch: eine riesige Empfehlung meinerseits. Eine chaotische Geschichte voller Spannung, Wahnsinn, Magie, Fantasie und Tiefe, die es schafft, sich auf den Millimeter genau zu schließen und in sich aufzugehen. 

"Es ist zu normal. Es ist verstörend und macht ihn schwindlig, und vielleicht muss man im Wunderland bleiben, wenn man einmal dort war, weil in der realen Welt, der anderen Welt, hinterher nichts mehr so sein wird wie vorher. In der Hinterher-Welt."

 5 von 5 Sternen
                                                                                                

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