Normale Menschen - Sally Rooney

Vielen Dank an den Luchterhand Verlag für dieses kostenlose Rezensionsexemplar.


Preis: 20,00 € (Gebundene Ausgabe) | 15,99 € (eBook)
Seitenanzahl: 320
Erscheinungsdatum: 17. August 2020
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
Originaltitel: Normal People

Beschreibung:
Die Geschichte einer intensiven Liebe: Connell und Marianne wachsen in derselben Kleinstadt im Westen Irlands auf, aber das ist auch schon alles, was sie gemein haben. In der Schule ist Connell beliebt, der Star der Fußballmannschaft, Marianne die komische Außenseiterin. Doch als die beiden miteinander reden, geschieht etwas mit ihnen, das ihr Leben verändert. Und auch später, an der Universität in Dublin, werden sie, obwohl sie versuchen, einander fern zu bleiben, immer wieder magnetisch, unwiderstehlich voneinander angezogen. Eine Geschichte über Faszination und Freundschaft, über Sex und Macht.

Meine Meinung:

Auch wenn ich in letzter Zeit einige gute Bücher gelesen habe, gab es nun lange keins mehr, das mich völlig vom Hocker gehauen und es auf die Liste meiner Jahresfavoriten geschafft hätte - damit war Schluss, als ich begann Normale Menschen von Sally Rooney zu lesen. Mein erstes Buch der Autorin, aber so viel kann ich sagen: Direkt an dem Tag, an dem ich es beendete, ging ich in die Buchhandlung, um mir so schnell wie möglich ihren ebenso erfolgreichen Debütroman zu besorgen. 

Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht genau, wo ich beginnen und wie ich in Worte fassen kann, was dieses Buch mit mir gemacht hat. Ich würde meinen, dass der Roman so gut wie kein anderer, den ich bisher gelesen habe, zeigen kann, wie die heutige junge Generation leibt und lebt, liebt und hasst, innerlich zerreißt und sich befriedigt. Es ist nachvollziehbar und so schmerzlich mitanzusehen, vor allem wenn man sich selbst darin wiederfindet. Es geht unter die Haut, obwohl es derart nüchtern und distanziert, kurz und prägnant, ohne großartige Ausschweifungen geschrieben ist, womit es auch die geistige Position der Figuren nachahmt, die sich immer nah sein wollen und dennoch bindungslos durch den Raum fliegen. Nicht viel passiert hier geplant und strukturiert, alles passiert, wie es eben kommt - ohne große Hemmung oder Abwehr. Rooney schafft es auf den Punkt zu bringen, unsere Generation zu portraitieren, ohne dabei wertend oder karikierend zu sein. 

"Nicht zum ersten Mal denkt Marianne, dass Grausamkeit nicht nur die Opfer verletzt, sondern auch die Täter, und diese vielleicht sogar tiefer und bleibender. Man lernt nichts wirklich Tiefgreifendes über sich selbst, wenn man einfach nur gemobbt wird, aber wenn man jemanden mobbt, lernt man etwas, das man nie vergisst."

Rooney lässt ihre Figuren dabei nicht unwissend, dumm oder verblendet sein. Ganz im Gegenteil, häufig scheint es, als hätten sie erkannt, was die Welt im Innersten zusammenhält und wie die Gesellschaft heutzutage funktioniert. Sie nehmen Bezug auf die Kritische Theorie (durchaus treffend, wenn man sieht, wie beliebt eben gerade das linke Denken innerhalb universitären Kreisen ist), kritisieren kapitalistische Strukturen und verlieren sich dabei beinahe dialektisch immer wieder im Konsum von Alkohol, Sex und Aufmerksamkeit. 
Vor allem mit Marianne begegnete mir eine Figur, die ich so noch nie gesehen habe. Zum einen ist sie solch eine kämpferische Persönlichkeit, sie scheint sich für niemanden außer sich selbst zu interessieren und erst recht niemanden an sich heranzulassen, aber gleichzeitig ist sie so nachgiebig und unterwürfig, wenn es dazu kommen könnte, Anerkennung und Liebe, auch nur irgendeine Rückmeldung oder das Interesse einer anderen Person zu bekommen. Als würde sie in einen passiven Modus umschalten. Sie ist stark und schwach, und dies funktioniert innerhalb der Darstellung faszinierend gut. Es sind eben keine Widersprüche, es ist die Realität.

"All die Jahre waren sie wie zwei Pflänzchen, die sich dasselbe Fleckchen Erde teilten, die umeinander herumwuchsen, sich verbogen, um Platz zu machen, dabei merkwürdige Positionen einnahmen."

Im Großen und Ganzen spielt der Roman mit der Idee, was das Menschsein im sozialen Raum ausmacht. Rooney bietet dabei zahlreiche Ideen, Beobachtungen und Facetten an: Wie verschafft man sich Liebe, Beachtung, Respekt und Freundschaft? Was ist ein Mensch, der sich nirgendwo zugehörig fühlt? Was macht fehlende Anerkennung und Aufmerksamkeit aus einem Menschen? Wie verhalten sich soziale Machtpositionen und wie formen Gesellschaften die 'Anderen'?
Die Handlung ist geprägt von Missverständnissen und Misskommunikation. Es scheint als hätten die Figuren ein derart gestörtes Verständigungssystem, beinahe einen Kurzschluss, wenn es darum geht, Klartext zu reden und die Karten offen auf den Tisch zu legen, vor allem wenn das Potenzial besteht, verletzt zu werden. Ein ständig wiederkehrendes Motiv ist dagegen die extreme Fokussierung auf das bindungslose Ausleben der eigenen Sexualität - ob es einem gefällt oder nicht, und zwar wortwörtlich, es besteht beinahe eine zwanghafte Offenheit. Wir beobachten Figuren, die hin- und hergerissen sind, zwischen der ultimativen Körperlichkeit, während sie innerlich leer und unzufrieden sind und dabei zwischen der Angst vor der Bindung und der der Einsamkeit schwanken. Was darauf folgt, ist eine innere Unruhe und ein Kreislauf des inneren Leidens, bis es die Figuren verzehrt, weil keiner auch nur ein Wort sagen möchte. Und ähnlich schließt sich hier der Schluss an - ob die innere Geisteshaltung überwunden ist, ob die Figuren sich schließlich gefunden haben oder ihr ewiges Suchen nach sich selbst, dem anderen und ihrer Liebe fortsetzen werden, bleibt wohl der eigenen Interpretation überlassen.
Ich liebe dieses Buch von ganzem Herzen, weil ich mich selbst und meine Generation noch nirgends so wiedergefunden habe, ohne mich zugleich von oben herab behandelt gefühlt zu haben. Ein großartiges Buch, eine riesige Empfehlung.


5 von 5 Sternen
                                                                                                

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