Offene See - Benjamin Myers

Preis: 20,00 € (Gebundene Ausgabe) | 15,99 € (eBook)
Seitenanzahl: 270
Erscheinungsdatum: 20. März 2020
Verlag: Dumont Buchverlag
Originaltitel: The Offing

Beschreibung: 
Der junge Robert weiß schon früh, dass er wie alle Männer seiner Familie Bergarbeiter sein wird. Dabei ist ihm Enge ein Graus. Er liebt Natur und Bewegung, sehnt sich nach der Weite des Meeres. Daher beschließt er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, sich zum Ort seiner Sehnsucht, der offenen See, aufzumachen. Fast am Ziel angekommen, lernt er eine ältere Frau kennen, die ihn auf eine Tasse Tee in ihr leicht heruntergekommenes Cottage einlädt. Eine Frau wie Dulcie hat er noch nie getroffen: unverheiratet, allein lebend, unkonventionell, mit sehr klaren und für ihn unerhörten Ansichten zu Ehe, Familie und Religion. Aus dem Nachmittag wird ein längerer Aufenthalt, und Robert lernt eine ihm vollkommen unbekannte Welt kennen. In den Gesprächen mit Dulcie wandelt sich sein von den Eltern geprägter Blick auf das Leben. Als Dank für ihre Großzügigkeit bietet er ihr seine Hilfe rund um das Cottage an. Doch als er eine wild wuchernde Hecke stutzen will, um den Blick auf das Meer freizulegen, verbietet sie das barsch. Ebenso ablehnend reagiert sie auf ein Manuskript mit Gedichten, das Robert findet. Gedichte, die Dulcie gewidmet sind, die sie aber auf keinen Fall lesen will.


Meine Meinung:

Diese Geschichte war einfach schön. Dieses Wort beschreibt es wohl am besten: Schön. Das heißt, dass man sich beim Lesen wohlfühlt, besonders die Vorstellung durch zahlreiche wundervolle Prosa angeregt wird, die Zeilen, Sätze und Wörter selbst in ihrer Übersetzung wunderbar miteinander harmonieren und man sie am liebsten wieder lesen würde, und wieder und wieder und wieder. 
Schönheit konzentriert sich aber auch vor allem auf die Oberfläche, und auch dies passt zu meinem Leseerlebnis von diesem Roman. Ich habe das Lesen auf jeder Seite genossen, aber dennoch konnte es mich nicht völlig ergreifen und mir unter die Haut gehen, sodass kein wirklich nachhaltiger tiefgründiger Eindruck blieb.

"Aber Dunkelheit ist niemals etwas Geschlossenes, und mit der Zeit traten die Umrisse der schwankenden Äste ferner Bäume hervor, und die Nacht wurde zu etwas mit verschiedenen Ebenen, einem Gefüge aus sich wandelnden Schattierungen, in dem Perspektive verzerrt wird und plötzlich das eigene Urteilsvermögen infrage gestellt ist. Vordergrund und Hintergrund schienen die Plätze zu tauschen, und auf dieser dunklen samtigen Bühne, die von Wesen aus Blut und Knochen beherrscht wurde, bot die Nacht eine Reihe von magischen Trugbildern."


Benjamin Myers schafft es besonders den Zauber der Natur in seinen Worten einzufangen, sodass man die englische Küstenlandschaft hautnah spürt. 
Eine große Rolle spielt auch die Lyrik. Hierbei kommen in der Handlung sogar eigene Gedichte zum Einsatz. An sich gefällt mir der Ansatz, diese einzubinden, leider war aber die Umsetzung nichts für mich persönlich. Dies ist natürlich subjektiv, aber die Lyrik hatte für mich leider keinerlei Ausdruckskraft und waren auch in ihrer Rhetorik und Eloquenz keine Besonderheit, sondern qualifizierte sich häufig nur durch ihre Aneinanderreihungen von Eindrücken. Hätte man diese weggelassen, hätte dies nichts an meiner Freude am Lesen gelindert. Nein, vielleicht hätte es diese sogar noch größer gemacht, wenn man nur zwei wirklich gute Gedichte eingesetzt, und den Rest einfach herausgekürzt hätte. 

"[A]lles, was du je gefühlt hast, wurde vor dir schon von einem anderen menschlichen Wesen gefühlt. Vielleicht kannst du dir das nicht vorstellen, aber es ist die Wahrheit. Darum geht es in der Lyrik. Sie erinnert uns genau an diese Tatsache. Durch Dichtung vermittelt uns die Menschheit, dass wir nicht völlig allein auf der Welt sind. Dichtung ist eine tröstliche Stimme, die durch die Zeiten hallt wie der schwermütige Klang eines Nebelhorns in der nautischen Nacht. Dichtung ist eine Trittleiter zwischen den Jahrhunderten, vom antiken Griechenland zu morgen Nachmittag."

Ein weiteres großes Thema des Buches ist die Verarbeitung der Kriegserfahrungen des zweiten Weltkrieges. Demnach spielt unsere Geschichte auch in den Jahren nach Kriegsende, wodurch alle Erfahrungen, die wir durch Roberts Augen machen, von diesen Ereignissen geprägt sind. Die Darstellung empfand ich dabei als sehr gefühlvoll und realitätsnah, wobei wir durch Dulcie eine vielschichtigere Perspektive geliefert bekommt, die mich sehr gefreut hat, da man in heutigen literarischen oder filmischen Aufarbeitungen doch nur sehr einseitige Auslegungen erfährt. 

"Der Krieg war gewissermaßen eine Krankheit, die nur der Lauf der Zeit behandeln konnte und an der viele bis ans Ende ihres Lebens leiden würden."

Und nun zur größten Stärke des Buches: die Figurenkonstellation, beziehungsweise die Dynamik zwischen Robert und Dulcie, die einfach herzerwärmend ist. Werde ich in ein paar Jahren an dieses Buch zurückdenken, dann vor allem an die großartige Schraffierung Dulcies Charakter, der auf liebevolle Art belehrend, ein bisschen schnippisch, gleichzeitig aber auch hilfsbereit, aufopfernd und hingebungsvoll ist. Ihre Reden waren im selben Moment absolut kitschig, aber fühlten sich auch auf sonderbare Art so echt und authentisch an, und haben sich direkt in mein Herz geschlichen.


                                                                                                

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