Der letzte Satz - Robert Seethaler

Vielen Dank an den Hanser Verlag und NetGalley für dieses kostenlose Rezensionsexemplar.

  

Preis: 19,00 € (Gebundene Ausgabe) | 14,99 € (eBook)
Seitenanzahl: 128
Erscheinungsdatum: 3. August 2020
Verlag: Hanser Berlin

Beschreibung: 
An Deck eines Schiffes auf dem Weg von New York nach Europa sitzt Gustav Mahler. Er ist berühmt, der größte Musiker der Welt, doch sein Körper schmerzt, hat immer schon geschmerzt. Während ihn der Schiffsjunge sanft, aber resolut umsorgt, denkt er zurück an die letzten Jahre, die Sommer in den Bergen, den Tod seiner Tochter Maria, die er manchmal noch zu sehen meint. An Anna, die andere Tochter, die gerade unten beim Frühstück sitzt, und an Alma, die Liebe seines Lebens, die ihn verrückt macht und die er längst verloren hat. Es ist seine letzte Reise. 
"Der letzte Satz" ist das ergreifende Porträt eines Künstlers als müde gewordener Arbeiter, dem die Vergangenheit in Form glasklarer Momente der Schönheit und des Bedauerns entgegentritt.


Meine Meinung:

Ich muss ja zugeben - mit diesem Roman bin ich noch immer ein Seethaler-Neuling. Vorher habe ich noch nichts von ihm gelesen, aber nach diesem grandiosen Leseerlebnis, das ich mit diesem Buch hatte, werde ich das auf jeden Fall nachholen. 
Ich denke, es ist für das Buch grundlegend, zumindest das kleinste Interesse an Gustav Mahler, seiner Musik oder der Musik im Allgemeinen zu haben. Wenn man diese nicht schätzt, schätzt man auch das Buch nicht - zu dieser Meinung bin ich gekommen, als ich das Buch beendete, völlig entgeistert über dessen Grandiosität war und mir versuchte zu erklären, wie es zu Aussagen kommen könnte wie der, dass dieses Buch 'mittelmäßig' sei, was leider nur allzu häufig in anderen Rezensionen der Fall war. 

"Man kann über Musik nicht reden, es gibt keine Sprache dafür. Sobald Musik sich beschreiben lässt, ist sie schlecht."

Seethaler schafft es nicht nur, auf subtilste Weise prägnante biografische Momente aus Mahlers Leben in eine wunderschöne Sprache einzubetten, nein, er brilliert auch darin, die kleinen Begebenheiten, die nicht nur im Leben eines großen Mahlers, sondern in dem von jedem anderen auch vorkommen, auf eine Art und Weise einzuarbeiten, mit der man ebendiese kleinen Momente ganz anders zu schätzen lernt. 
Und dies macht er nicht umsonst, sondern natürlich um das Hauptthema des Romans zu betonen, das nicht unbedingt in der Schraffierung der Persönlichkeit des allbekannten Gustav Mahlers und der Vorstellung lag, wie sein Blick aufs Leben vielleicht oder sogar höchstwahrscheinlich hätte aussehen können, sondern auf einem viel mehr allgemeineren als exemplarischen: der Vergänglichkeit der Lebens. 

"Glauben war in Wahrheit Wissen. Heute wusste er nichts mehr. Das Einzige, worauf er sich in gewisser Weise immer verlassen konnte, war sein Körper beziehungsweise dessen Zerfall."

Hierfür stellt sich der Komponist als großartige Projektionsfläche für eine Problematik heraus, die uns alle auf die eine oder andere Weise beschäftigt. Wie gehe ich damit um, dass ich irgendwann, vielleicht in zehn, zwanzig Jahren, vielleicht aber auch in zwei Wochen oder sogar schon morgen sterben werde?
Mahler, mit seinen chronischen Krankheiten, die sich auf alle Körperteile legt und es dennoch nicht schafft, die großartige geistige Schaffenskraft aus diesem Mann herauszudrücken, wird dabei als Mensch im Sinne des 'Harte-Schale-weicher-Kern' dargestellt, was Szenen sowohl komischster Belustigung aber auch tief- und trübsinnigster Schwermut und Melancholie hervorruft. Mahler wie auch seine Frau Alma, die ja bekanntlich eine Person höchst umstrittenen Charakters ist, werden auf zutiefst authentische und menschliche Art dargestellt, die es sich anfühlen lässt, als hätte man die Figuren auf dieser doch so geringen Anzahl von Seiten bis in ihr Innerstes kennengelernt.

"Irgendjemand hatte ihm erzählt, dass weißer Tee die Seele beruhigt. Das war natürlich Unsinn, doch manchmal war es nützlich, an solche Dinge zu glauben."

Dieses Buch in all seiner ruhigen Gemächlichkeit lässt einen Schmunzeln, Grübeln und geht zugleich auf eine mir bisher ganz unbekannte Weise unter die Haut. Zugleich scheint der Plot durch seine wiederkehrenden Motive und Symboliken in sich selbst so geschlossen, dass man die letzten Seiten des Buches mit einem innerlichen Erfülltsein umblättert, wie ich es zuletzt bei Fitzgeralds Großem Gatsby empfunden habe. Kurz gesagt: Robert Seethaler ist ein Autor, der es tatsächlich schafft, allen Schmerz und alles Leid, das der Mensch in seiner eigenen Vergänglichkeit zu akzeptieren, vielleicht sogar wegzulächeln versucht, in nur wenigen Worten auf den Punkt zu bringen. Dies war vielleicht das erste, aber sicher nicht das letzte Buch, das ich von Seethaler gelesen habe.


 5 von 5 Sternen
                                                                                                

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