Fremdes Licht - Michael Stavarič
Vielen Dank an den Luchterhand Verlag für dieses kostenlose Rezensionsexemplar.
Seitenanzahl: 512
Erscheinungsdatum: 09. März 2020
Verlag: Luchterhand
Beschreibung:
Sie ist an einem unbekannten Ort und in einer eisigen, unwirtlichen Umgebung. Erst nach und nach kehrt die Erinnerung zurück, und Elaine begreift, was passiert ist: dass ihr Großvater einst bei den Inuit in Grönland lebte und er sie mit dem Überleben in Eis und Schnee vertraut machte. Dass sie zuletzt für einen Konzern im Schweizer Ort Winterthur tätig war und sich dort als Genforscherin mit der Rekonstruktion von Leben beschäftigte. Dass die Erde während eines Kometeneinschlages zugrunde ging und sie die letzte Überlebende zu sein scheint. Was das alles mit ihrer Urgroßmutter aus Grönland zu tun hat, ahnt sie nicht.
Meine Meinung:
In Fremdes Licht traf ich auf eine ganz sonderbare Leseerfahrung, die ich in dieser Art und Weise nur sehr selten erlebt habe, und auch nach Beenden des Romans weiß ich noch nicht genau, ob mir das Buch nun eigentlich gefallen hat oder nicht - wahrscheinlich stellt es hierfür auch eine ganz neue Kategorie auf, und das mag ja auch durchaus für sich sprechen.
In Michael Stavaričs Roman treffen wir, wie der Klappentext auch schon andeutet, auf eine zweigliedrige Geschichte, die sich vor allem durch ihre Schicksalsschläge in einer parallelen Verbindung zueinander verhält. Diese Entscheidung des Autors birgt ein großes Potenzial, indem es einen interessanten Werdegang der Handlung aufmacht: Zum einen geraten wir nämlich in eine dystopische Science-Fiction-Erzählung und auf der anderen Seite wiederum auf einen beinahe romantischen, naturverbundenen historischen Handlungsstrang, der im neunzehnten Jahrhundert spielt und vor allem die Zeit der großen Erfindungen beschreibt, in denen der Roman auch den Ursprung der menschlichen Schaffenskraft sieht, durch welche den Menschen auch ein Ausgang vom Untergang der Welt im vierundzwanzigsten Jahrhundert geboten wird.
Prinzipiell also ein tolles Konzept, das alle Themen anspricht, die mich interessieren: Erinnerungskultur und Familiengeschichte, potenzielle Technikkritik und Entfremdung des Menschen von der Natur, wie auch die Weite und Möglichkeiten, die uns das unvorstellbar ferne All noch bieten. Und zugleich beginnt hier meine Kritik, denn meiner Meinung nach wurden all dieses Potenzial, all diese Fragen von gegenwärtigem und zukünftigen Stellenwert nicht schlüssig verknüpft, verbunden oder überhaupt sinnvoll geschlossen.
Beginnend mit der Familiengeschichte fiel mir schon hier auf, dass die Schicksale beider Frauen einfach keine sinnvolle Parallele oder Verbindung hergeben können, außer dass sie sich ein Erbgut teilen und beiderseits vor schwere Kräfteproben gestellt worden sind. Vielleicht könnte man noch sagen, dass beide die Faszination bezüglich der Technik teilen, und sich diese zugute der Zukunfts-Elaine auswirkt, während sie die Vergangenheits-Uki zu großen Qualen verleitet, aber unabhängig davon erschloss sich für mich keine sinnvolle Nachricht, keinerlei Erkenntnis, die mir der Roman erläutern konnte. Und dass Frauen vor große und schwere Schicksale gestellt werden, sei es in der Zukunft, Gegenwart oder Vergangenheit, ist ehrlich gesagt kein großer Erkenntnisgewinn. Somit wirkte der Zusammenhang für mich also eher substanzlos und herbei imaginiert, gerade die Wendungen innerhalb Ukis Geschichte ergaben absolut keinen relevanten Stellenwert innerhalb des gesamten Plots (zumal die Vertiefung und Reflexion bezüglich der Rolle der Technik ausblieb, womit auch diese Verbindung hinfällig ist) und wirkten im Nachhinein eher, als hätte der Autor die Geschichte auf den letzten dreißig Seiten nur noch einmal ordentlich einheizen wollen. Die finalen Aussagen bleiben offen und diffus, man gewinnt keine Aussage aus der Geschichte, außer dass man vielleicht nie aufgeben soll, aber ob das die Erkenntnis des Jahres oder gar der Literaturgeschichte ist, ist ebenfalls fraglich. Lange habe ich tatsächlich gedacht, dass es auf eine Abschätzung der Chancen und Risiken der Technik hinauslaufen könnte, aber da die Welt im Roman durch einen (erneut eher zusammenhangslosen und plötzlich aus dem Nichts kommenden) Kometeneinschlag herbeigeführt wird und die Technik eher dem Überleben des Menschengeschlechts dienlich wird, statt - wie es ja sehr in die heutige grüne Ideologie passen würde - den Untergang zu besiegeln, kann auch dies nicht der Fall sein. Die Frage bleibt also stetig im Raum: Was will mir dieser Roman sagen? Welche Erkenntnis kann ich in mein Weltbild integrieren? Aber schließlich setzt sich auch hier ein beliebtes rhetorisches Mittel oder vielleicht auch handwerkliches Scheitern des Autors durch: Die Stränge bleiben offen, zusammenhangslos und vergessen. Ob das gewollt ist, kann ich nicht sagen. Ich sehe leider einfach keinen Sinn darin, weil sich nichts verknüpfen lässt.
Unabhängig voneinander betrachtet waren die Geschichten aber durchaus interessant. Eine große Rolle spielt vor allem die Abstammung aus Grönland und somit auch das traditionelle Leben der Inuit mitsamt ihrer Lebensweise und Kultur, ihrer Mythologie (oder Religion, falls man das so sagen kann) und ihrem besonderen Umgang mit der Sprache, woraus sich auch tolle Sätze und Reflexionen seitens des Autors ergaben. Bisher habe ich noch nichts weiteres von Michael Stavarič gelesen, und werde es wohl auch nicht tun, aber ich habe durch einige Recherchen erfahren, dass er sich in seinem Werk viel mit Sprache und Diskursanalysen beschäftigt, und ich muss zugeben, dass diese fachwissenschaftliche Kenntnis wie auch der gekonnte Umgang mit der Sprache selbst durchaus in dem Werk brilliert. Es war höchst interessant einen so genauen Einblick in diese mir geistig und räumlich so ferne Welt zu bekommen. Dies bleibt auch wirklich ein Hauptpunkt des Romans, den rein plottechnisch gibt er nicht allzu viel Komplexität her - was ja aber keine Kritik ist, da ein Roman trotzdem sehr ausgewogen sein kann, auch wenn seine Absicht eben auf die sprachliche Schönheit oder Vermittlung von Wissen verschoben ist. Trotzdem muss ich sagen, dass er sich extrem zäh liest. Ich habe ewig gebraucht, um das Buch immer wieder zur Hand zu nehmen, durch die Seiten zu kommen und es schließlich zu beenden. Es gibt wie gesagt kaum Plot, kaum Dialoge und sehr viel inneren Monolog, der durchaus auch des Öfteren sehr repetitiv wird (vor allem im zweiten Teil, in dem uns ein und dieselbe Handlung immer wieder aus zwei verschiedenen aber dennoch ähnlichen Sichten erzählt wird). Trotzdem schafft der Autor es, eine grandiose Atmosphäre aufleben zu lassen, wodurch sich das Buch als guter Schmöker in kalten Jahreszeiten ausmacht.
Lange habe ich überlegt, ob ich einen Fakt in dieser Rezension aufgreifen soll, der mir ebenso einen große Freude beim Lesen gebracht hat, oder ob dies an der Stelle vielleicht zu unseriös wirkt: Es handelt sich um die tolle Atmosphäre, die im zweiten Teil auftritt, in der die Weltausstellung in Chicago inszeniert wird und die Inuit Uki die ihr so neue Welt durch einen kindlich-naiven Blick kennenlernt, verarbeitet und mit ihrer eigenen in Verbindung bringt. Nicht nur habe ich diesen Teil geliebt, weil ich mich sowieso unglaublich für die Weltausstellungen aus den vergangenen Jahrhunderten interessiere (zumal mein Fokus immer eher auf der in Paris gelegen hat und der Autor meinen Blick diesbezüglich wirklich erweitert hat), auch hat mich das Lesen dieser Passagen wieder in eine kindliche Freude versetzt, mit der ich damals stets die Pocahontas-Filme schaute. Wie gesagt, das ist ein sehr nostalgischer und subjektiver Grund, jedoch wollte ich ihn unbedingt noch nennen, da ich in meiner Recherche auch darauf gestoßen bin, dass sich der Autor wohl auch schon in seinem Werk mit der Pocahontas-Legende auseinandergesetzt hat (siehe: Déjà-vu mit Pocahontas) - die Anlehnung scheint mir also nicht allzu weit hergeholt, und vielleicht war sie ja sogar intentional.
Stavarič versucht auch aus einer historischen Perspektive faktische Begebenheiten einfließen zu lassen, was er an dieser Stelle vielleicht hätte sein lassen können, da es erneut einfach nicht in der Geschichte aufzugehen scheint. Wirkliche historische Figuren wie zum Beispiel Fritjof Nansen nehmen eine große Rolle in der Geschichte ein, werden gleichzeitig aber so verklärt, dass sie in ihrer wahren historischen Authentizität nicht mehr zu erkennen sind, weshalb ich mich frage, ob man nicht mit reinen fiktiven Figuren besser gefahren wäre. Zusätzlich dazu bin ich absolut kein Freund davon, wenn Autoren es nicht schaffen, über ihre heutige politische Prägung hinweg historische Geschichten zu erzählen, sondern immer wieder Seitenkommentare abgeben müssen, die eindeutig mit dem Blick durch die heutige Brille gemacht werden. Sehr präsent war das bezüglich der Rolle der Frauen.
Wie man sieht: dieses Leseerlebnis war rundum ausgewogen. Es konnte mir viel Gutes aber auch einiges Schlechtes hergeben. Fakt ist, dass das Buch sicherlich in Erinnerung bleiben wird.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten durch diese Website einverstanden.