Hitze - Raven Leilani

 Vielen Dank an den Atlantik Verlag und NetGalley für dieses kostenlose Rezensionsexemplar.


Preis: 22,00 € (Gebundene Ausgabe) | 14,99 € (eBook)
Seitenanzahl: 256
Erscheinungsdatum: 1. September 2021
Verlag: Atlantik
Originaltitel: Luster



Beschreibung: 
Die dreiundzwanzigjährige Edie lebt in Bushwick, Brooklyn, und hält sich nach ihrem abgebrochenen Kunststudium finanziell mit einem Assistenzjob in einem Verlag und emotional mit wechselnden Liebschaften über Wasser. Dann beginnt sie eine Affäre mit Eric, einem weißen Mann, der in einer offenen Ehe lebt und fast doppelt so alt ist wie sie. Während sich Edie mit Erics Ehefrau und vor allem mit der Adoptivtochter des Paares, Akila, einem Schwarzen Mädchen, anfreundet, verschieben sich alle Perspektiven. Edie scheint die einzige andere Schwarze Person zu sein, die Akila kennt, und die Beziehung zwischen den beiden wird bald wichtiger als alles andere. Auf einmal muss Edie sich mit ihrer eigenen Einsamkeit und dem schon immer in ihrem Leben gewesenen Rassismus und Sexismus neu auseinandersetzen.

Meine Meinung:

Seit Wochen drücke ich mich nun schon davor, diese Rezension zu schreiben und all meine bereits ausbuchstabierten Eindrücke und Meinungen zu Raven Leilanis Hitze zu Blatt zu bringen ... Ich schiebe es auf und auf und auf, zum einen weil ich die Gefühle, die beim Lesen hochkochten nicht noch einmal durchleben möchte, zum anderen da ich bisher keine andere Rezension finden konnte, die in die entsprechende Richtung ging, in die ich nun gehen werde. Damit ihr nun aber keinen falschen Eindruck bekommt, lasst es mich so formulieren: Ich bin hochgradig und auf unglaublich verschiedenen Ebenen enttäuscht von diesem Roman. 
Die Punkte, auf die ich im Folgenden eingehen werde, sind allesamt Themen, die ich an sich in der Gegenwartsliteratur gern aufgegriffen sehe: Es geht um die Fixierung auf Sexualität, materiellen Neid und Digitalität. An sich sind das wie gesagt alles spannende und überaus relevante Themen, die ich auch bei anderen Autoren gern verarbeitet gesehen habe. Hier aber wird  die Geschichte mit ihren Themen völlig unreflektiert erzählt. Der Unterschied, der mir bei diesem Buch im Gegensatz zu anderen Gegenwartsromanen extrem missfällt, ist die Abwesenheit jeglicher Ironie und Satire. Alles wird mit einer solchen Ernsthaftigkeit erzählt, dass die hinter dem Plot stehende Message einfach nur absurd ist. Und ich garantiere: mir kann hier nichts entgangen sein, wäre in nur einer Zeile ein Hauch von Sarkasmus versteckt gewesen. Ich habe ihn wirklich und wahrhaftig gesucht, anfangs mit Hoffnung, gegen Ende mit bitterer Verzweiflung. Aber er hat mich tropfendnass und enttäuscht im Regen stehen lassen. 

Es lässt sich wohl behaupten, dass mein größtes Problem mit dem Roman dessen Einseitigkeit betraf. Als ich zu diesem Buch griff, hoffte ich so sehr auf eine Mehrperspektivität, die über das Niveau eines Buches für Jugendliche hinausgeht. Letztendlich erschien es mir aber als nicht mehr als ein etwas anzüglicheres, manchmal sogar obszönes Young-Adult-Buch. Ständig dachte ich: "Na, jetzt kommt doch die Moral! Jetzt kommt eine Tiefgründigkeit in diesem Narrativ, die mir neu ist." Aber nein, das Buch tritt auf der Stelle und fängt zwar den heutigen Zeitgeist, eine Ideologie und Bewegung ein, aber schafft es nicht auf einer höheren Ebene darüber zu reflektieren. Kleine Szenen, die die heutige Ideologie untermalen sollen, werden im Plot untergebracht, aber gehen im Gesamtwerk überhaupt nicht auf, womit der Roman mehr trendy als authentisch wirkt. Dabei ist es die Grundintention des Buches zu schreien: „Schaut her, ich bin auf jeden Fall Wähler der Demokraten“ und alle Themen der liberalen Linken, die in den letzten Jahren politisch relevant waren und in Diskussion standen (zum Beispiel Polizeigewalt oder Abtreibung), wie in einem Katalog abzuhaken. ABER nichts geht unter die Oberfläche. Nichts wird diskutiert, begründet, näher belegt, alles wird angerissen und dann links liegen gelassen wie bei einem Wolf, der aus reiner Tollwut über eine Schafherde herfällt. Ich kam mir im Grunde einfach nur veralbert vor, weil jedes Kapitel wie eine leere Parole wirkt, und das hätte ich bei diesem Buch, von dem ich mir so viel Einsicht in das Leben einer schwarzen, jungen Frau erhofft habe, einfach nicht erwartet. Zu sehr bin ich wahrscheinlich von genialen Schriftstellerinnen wie Sally Rooney oder Deborah Levy ausgegangen, die sich ebenso als feministisch und links ansehen und es dennoch schaffen, Bücher zu schreiben, die universell gültig sind und denen es gelingt, Schwächen der eigenen Denkweise zu reflektieren und damit über den Tellerrand zu blicken. Hitze konnte mir absolut nichts davon geben und hat mich eigentlich ständig nur zum Verzweifeln gebracht. Auf zahlreiche kritische Momente folgte kein einziger selbstkritischer Moment, was den Roman in meinen Augen in seinem philosophischen Wert sinken lässt. Es wirkte so flach, leer und eindimensional. 


Die Protagonistin, und mit ihr auch der hintergründige Ton der Geschichte, redet sich ständig so offensichtlich in eine Opferrolle hinein und schiebt alle Schicksalsschläge auf Hautfarbe und Geschlecht, ohne auch nur in Betracht zu ziehen, dass sich der Fehler auch durch andere Dinge (zum Beispiel durch einen schlechten Charakter, sowohl beim Gegenüber als auch beim eigenen Selbst) erklären ließe. Ganz ehrlich, ich verstehe nicht, wie Philosophien des Antirassismus und Feminismus ständig bestimmte Dinge kritisieren und beinahe dialektisch darauf hinauslaufen, dass sie selbst alles auf das Schwarzsein oder Frausein reduzieren und sich dabei jede eigene Individualität entsagen. Bestimmte Handlungsverläufe wirken beinahe wie ein eigenes Hineinprojizieren in herabsetzende Klischees, wodurch sich der Roman zur eigenen Karikatur entwickelt. (Wäre das tatsächlich auch die Absicht der Autorin gewesen, würde ich meinen Hut ziehen. Aufgrund meiner überaus frustrierenden Suche nach der fehlenden Ironie in dieser Story, bezweifle ich das aber stark.)


Stattdessen lebt das Buch von gehässigen Seitenkommentare, die gern aufkosten von Konservativen gehen; natürlich auch hier ohne die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen. Was die Begründung dafür ist, kann ich mir nicht erklären, vor allem nicht da es unserer Protagonistin doch so wichtig ist, nicht mehr unterdrückt zu werden. Andere Meinungen zu unterdrücken, scheint dagegen in Ordnung, insbesondere wenn es um Abtreibungsgegner geht. Eine Moral der Geschicht: Eigentlich sähen alle unsympathischen Menschen aus wie Abtreibungsgegner. So in der Art handelt es zumindest der Roman. Auch unsere Protagonistin hatte schon eine Abtreibung, die sie - mal ohne großes Gemecker, im Gegensatz zu ihrem sonstigen Dasein - überstanden hat. Das war‘s im Buch dann auch zu diesem Thema … Es ist traurig, wenn man sich überlegt, wieviel moralische Tiefe und philosophische Diskussion dahintersteckt, und dass es kein bisschen davon ins Buch geschafft hat. Wenn ich einseitige Meinungen hören will, frage ich ein paar Kindergartenkinder, die es noch nicht besser gelernt haben, aber für Dinge, die angekratzt werden wie diese Kratzbilder, unter denen Regenbogenfarben lauern, muss ich keinen dreihundertseitigen Roman lesen. Gibt’s diese Kratzbilder heutzutage noch? Wenn nicht, dann haben wohl selbst die ihre oberflächliche Masche durchschaut; dann sollte nun auch mal die Autorin dahinterkommen. 
Ähnlich wurde demnach auch der Generationenkonflikt ausgeleuchtet: nämlich kaum, obwohl doch so viel Potenzial dahintersteckt. Die Autorin schildert zwar, dass sich Personen verschiedener Altersgruppen unterschiedlich im Umgang mit Digitalität oder auch Sexualität verhalten, und besonders wie unausweichlich diese im Fokus von jungen Menschen stehen, aber die Diskussion geht nie in die Richtung, wie (teilweise auch toxisch) sich das auf deren Denken auswirkt und zu welchen Konflikten es dadurch kommen kann. Auch hier tritt das Buch so auf der Stelle und das auch noch im flachen Wasser, sodass einem der matschige Schlamm des Ufers immer wieder ins Gesicht spritzt, und man schaut sich um, und weiß nicht, woher es kommt. So fühlte sich der Roman zusammengefasst für mich an. Schade, schade.


Grundsätzlich kann man also sagen, war das Buch eine Hassrede und Hetzjagd auf die weiße Mittelschicht, (mittel)alte Männer, auf Konservative und Republikaner und alles was dazugehört - personifiziert in der Figur von Eric Baker, dessen Figur dadurch kaum eine Tiefe bekommt, außer ein riesiges Arschloch zu sein, das gern Frauen benutzt. Und das Schlimmste dabei ist, dass der Roman immer die Implikation mit sich trägt, dass alle Männer so seien. Besonders an einer Stelle im fünften Kapitel klingt durch, dass weiße Männer sich nur einbilden würden, die Berechtigung zu haben, über Dinge wütend sein zu dürfen. Da blieb mir für einen Moment wirklich die Spucke weg. Noch heute denke ich daran zurück, und wünsche mir wirklich, mir wäre das ironische Moment in diesem Moment einfach entgangen, aber das bezweifle ich, wie gesagt, stark. Wenn man dies umkehren würde und auf diese Weise von Frauen sprechen würde, wäre das Diskriminierung, aber das scheint wohl heutzutage keinen mehr zu kümmern ... Von dieser Seite aus, möge man sich diesem Narrativ zugehörig fühlen, fühlt sich der Roman in seinem Stellenwert wohl berechtigt und relevant an. Gute Literatur qualifiziert sich meiner Meinung nach jedoch dadurch, dass eine Geschichte von vielen verschiedenen Blickwinkeln - politischen, gesellschaftlichen, genderbezogenen, kulturellen, … - deut- und interpretierbar, aber insbesondere auch genießbar ist (noch einmal ein starker Verweis auf Sally Rooney), was sich vor allem durch eine dialektische und mehrdimensionale Durchdringung von Themen ausmacht, die keine Scheu davor zeigt, sich auch mal an die eigene Nase zu greifen. Dieser Roman konnte mir die entsprechende Horizonterweiterung leider nicht geben, obwohl ich mir aus der Prämisse so viel erhofft habe. Ist es nicht ironisch, ein ‚diverses‘ Buch zu schreiben, das seine Themen aber schließlich genauso festgefahren und unbegründet aushandelt wie Leute, über die es sich eigentlich beklagt? Zu behaupten, dass alle Abtreibungsgegner prinzipiell scheiße sind, weil sie es nun mal sind, nimmt sich in der Argumentationslogik nicht viel von der Behauptung, dass Frauen nun mal schwach seien, weil sie es eben sind. 


Nicht alles an dem Buch hat mich aufgeregt. Im Schreibstil der Autorin sehe ich durchaus Potenzial. Er grenzt sich von anderen Autoren ab und insbesondere Dialoge mit darin ausgehandelten Machtdynamiken sind gut gelungen. An Stellen, an denen sich die Autorin aber um eine besondere Rhetorik bemüht, misslingt der Versuch eher in einem schwachen Symbolismus. Dass unsere Protagonistin zum Beispiel kein Selbstporträt zeichnen kann, ist einfach … billig, sorry. Man hätte besser veranschaulichen können, dass sie ihre Identität sucht, und nicht weiß, wohin sie in dieser Gesellschaft und in der Kunst soll.
Also was soll ich noch sagen, außer dass dieser Roman die Enttäuschung des Jahres war und ich mich wirklich über die Anpreisung aus der Presse wundere. Vielleicht habe ich ja einen anderen Roman gelesen?


 2 von 5 Sternen
                                                                                                

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