Meine dunkle Vanessa - Kate Elizabeth Russell

 Vielen Dank an den C. Bertelsmann Verlag für dieses kostenlose Rezensionsexemplar.





Preis: 20,00 € (Gebundene Ausgabe) | 12,99 € (eBook)
Seitenanzahl: 449
Erscheinungsdatum: 1. Juli 2020
Verlag: C. Bertelsmann
Originaltitel: My Dark Vanessa


Beschreibung: 
Vanessa ist gerade fünfzehn, als sie das erste Mal mit ihrem Englisch-Lehrer schläft. Jacob Strane ist der einzige Mensch, der sie wirklich versteht. Und Vanessa ist sich sicher: Es ist Liebe. Alles geschieht mit ihrem Einverständnis. Fast zwanzig Jahre später wird Strane von einer anderen ehemaligen Schülerin wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Taylor kontaktiert Vanessa und bittet sie um Unterstützung. Das zwingt Vanessa zu einer erbarmungslosen Entscheidung: Stillschweigen bewahren oder ihrer Beziehung zu Strane auf den Grund gehen. Doch kann es ihr wirklich gelingen, ihre eigene Geschichte umzudeuten – war auch sie nur Stranes Opfer?

Meine Meinung:

Nach Beenden dieses Buches tut mir alles weh, ganz besonders aber mein Herz. Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, wie ich die Schlagkraft auf jeder Seite dieses Romans auch nur annähernd in Worte fassen, gar beurteilen soll, und werde es wahrscheinlich nie wissen.
»Ich zwinge mich, mir den Gedanken kurz durch den Kopf gehen zu lassen. ›Mit der Sache abschließen und sie hinter sich lassen‹, das klingt wie der Sprung von einer Klippe, wie sterben.« (S. 65)
Aber wenn wir schon einmal bei Ehrlichkeit sind, fangen wir vielleicht am besten damit an, was ich erwartet habe, als ich mir vornahm, dieses Buch zu lesen. Trotz all der großartigen Rezensionen, die dieses Buch eingefangen hat, war ich wirklich skeptisch. Und wenn wir nun die Ehrlichkeitsskala auf volles Volumen drehen: Ich war zwar gespannt auf den Roman, hatte aber tatsächlich keine Lust auf einen Plot, bei dem die Autorin aus dem Buch springt und mir mit ihrer plakativen Moral, wie sie in den Medien rund um die MeeTo-Debatte herrschte, eins über den Deckel zieht. Ja, ich hab's gesagt, aber kann's mir denn jemand verübeln? Die Medien haben in dieser Debatte geradezu Marketing betrieben, haben sich mit großen Namen geschmückt und wollten schockende Interviews an Land ziehen, in denen sie große Namen in Grund und Boden stampften. Aber ja ... was interessiert das denn mich? Trotz der dahinterstehenden Relevanz des Themas war mir die Ausweitung durch die Medien zu plakativ, zu unseriös, zu aufmerksamkeitsheischend und zu weit weg. Nur weil ich selbst eine Frau bin und das größere Potenzial als ein Mann habe, ähnliches zu erleben, heißt das noch nicht, dass ich mich auch nur im Entferntesten mit den Frauengeschichten identifizieren konnte, die damals im Fernsehen hoch und runter liefen. 
Und genau das ist der Punkt. Hier setzt die Geschichte an. Und das war grandios. 

Wir verfolgen hier keine Geschichte rund um Hollywoodstars und versaute Regisseure, die die altbekannte 'Alte-weiße-böse-Männer'-Tour genauso hinunterleiert wie jede andere Möchtegern-Feministin das macht, ohne das Thema auch nur einmal ordentlich durchdacht zu haben. Vielmehr verfolgen wir hier eine Geschichte, die sich so echt anfühlt, wie sie das nur kann, die durch Dreidimensionalität, durch Reflexion, durch realistische Verworrenheit und durch genaue Blicke in die menschliche Psyche überzeugt. 
»Er fährt mit dem Finger über die Adern, die bläulich durch meine Haut schimmern, redet davon, was für einen Hunger ich in ihm wecke und dass er mich am liebsten fressen würde, wenn das ginge. Ich halte ihm wortlos den Arm hin: Da, bitte schön. Er beißt nur ganz leicht zu, aber ich würde mich von ihm vermutlich auch klaglos in Stücke reißen lassen. Es gibt nichts, was er nicht mit mir machen dürfte.« (S. 152)
Gleichzeitig überzeugt der Roman nicht nur durch seine vielschichtigen, komplexen Charaktere, von denen keiner der absoluten Wahrheit oder Lüge zuzuordnen ist - denn so etwas gibt es einfach nicht -, sondern auch durch eine wunderschöne, gar poetische Sprache, von der ich schlicht nicht genug bekommen konnte, sodass ich sie passagenweise fünf-, sechs-, siebenmal gelesen habe, in der Hoffnung, irgendetwas von Kate Elizabeth Russells Sprachgefühl und Ausdrucksvermögen würde direkt auf mich übergehen und sich nie wieder von mir lösen. 

Die Geschichte ist beklemmend und düster, zart und empfindsam, ehrlich und unnachgiebig, was eine klare Stellungnahme angeht. Sie zeugt von einer unheimlichen Sogwirkung, die den Leser geradezu an der Hand nimmt und mit sich zieht. Kurz gesagt, es ist ein großartiger Roman, den ich allen nur wärmstens ans Herz legen kann. Ich freue mich schon auf alles, was noch von der Autorin kommen wird. Es kann nur gut werden!
»[Als] ich mir das Haar aus dem Gesicht streiche, sieht er, dass ich weine, aber es ist kein normales Weinen. Es sind bloß Tränen, die auf meinen Wangen auftauchen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob sie aus meinen Augen stammen, wenn ich so weine. Es fühlt sich eher so an, als würde ich ausgewrungen wie ein Schwamm.« (S. 359)


 5 von 5 Sternen
                                                                                                

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