Das Mädchen und der Winterkönig - Katherine Arden
Vielen Dank an den Heyne Verlag für dieses kostenlose Rezensionsexemplar.
Seitenanzahl: 480
Erscheinungsdatum: 9. November 2020
Reihe: Winternacht-Trilogie II
Verlag: Heyne
Originaltitel: The Girl in the Tower
Rezension zu:
Beschreibung:
Wasja hat es geschafft: Sie hat ihr Zuhause vor dem Untergang bewahrt, indem sie einen Pakt mit Väterchen Frost einging. Doch jeder Pakt hat seinen Preis, und nun muss Wasja bitter für die Hilfe des Winterdämons bezahlen. Als Hexe verschrien, wird sie aus dem Dorf gejagt und durchstreift fortan in Männerkleidung das riesige Zarenreich. Immer an ihrer Seite ist ihr geliebter Hengst Solowej, der schneller ist als der Wind. Als Wasja eines Tages eine berühmt-berüchtigte Räuberbande in die Flucht schlägt, ruft sie der Prinz an den Hof nach Moskau, wo sie als Held gefeiert wird. Schnell wird Wasja – dank der Ratschläge des Winterdämons – zur engsten Vertrauten des Prinzen. Doch niemand am Hof darf je erfahren, dass der tapfere Kämpfer aus dem klirrend kalten Norden eigentlich eine junge Frau ist ...
Meine Meinung:
Vor einigen Monaten konnte mich der erste Band dieser vom mythisch-alten Russland inspirierten Geschichte sehr begeistern, und wenn auch thematisch sehr anders, steht der zweite Band der Reihe diesem keineswegs nach.
"'Ich kann nicht leben', flüsterte er. 'Man kann nicht leben und unsterblich sein. Aber wenn der Wind bläst und der Sturm die Welt heimsucht, wenn Menschen sterben, werde ich da sein. Das genügt.'" S. 454
Ich muss zwar zugeben, dass ich diesen Band viel langsamer und gemächlicher gelesen habe als den ersten. Während ich diesen in einigen Tagen verschlungen habe, begleiteten mich Katherine Ardens Figuren nun vielmehr über Wochen. Tatsächlich sagt das aber nichts darüber aus, dass dieser Band mir in irgendeiner Weise weniger gefallen hätte als der erste, wahrscheinlich lag es einfach daran, dass die Themen dieses Bandes mit unserer jungen Protagonistin Wasja mitwachsen, heranreifen und ernster werden. Die Stimmung ist demnach nicht mehr sonderlich verspielt und humorvoll, sondern häufig düster oder an einigen Stellen gar bedrückend. Der Fokus dieses Buches liegt nun nicht mehr auf dem Kontrast von Religiosität und Mythos, sondern vor allem auf den politischen Stimmungen, den Intrigen am Hofe und einer gesellschaftlichen Betrachtung der Stellung der Frauen, ebenso wie die an sie gerichteten Erwartungen und natürlich Grenzen in der damaligen Zeit. Während Arden all diese seriösen Themen in ihre Geschichte webt und dieser damit einen ernsten Ton gibt, verliert sie dennoch nicht an der Phantastik, die mich im ersten Band so sehr für sich gewinnen konnte. Viele Momente sind noch immer so magisch, heiter und unbeschwert, dass sie einem sofort das Gefühl geben, ein altes Lieblingsmärchen zu lesen. Wie schon in Der Bär und die Nachtigall liebe ich das Worldbuilding der russischen Mythenwelt und kann vor der Autorin nur den Hut ziehen, wie sie diese in ihren Büchern erneut aufleben lässt.
"'Dinge sind, oder sie sind nicht, Wasja', fiel er ihr ins Wort. 'Wenn du etwas willst, bedeutet das, dass du es nicht hast, dass du nicht glaubst, dass es da ist, und das wiederum bedeutet, dass es auch nie da sein wird. Feuer ist, oder es ist nicht. Das, was du Magie nennst, ist nichts anderes, als der Welt nicht zu gestatten, anders zu sein, als du sie haben willst.'" S. 127
Diesem Erzählen passt sich auch der Schreibstil von Katherine Arden an, die erneut auf eine ausschmückende, bildliche und atmosphärische Farbgebung Wert legt und damit ihren Figuren wie auch ihrer Geschichte wortreich Leben verleiht. Tatsächlich überkam mich schon auf den ersten Seiten ein derart vertrautes Gefühl, dass ich mich sehr wunderte - immerhin hatte ich doch nur den Vorgängerband aus der Feder der Autorin gelesen. Als ich auf dem Klappentext aber las, dass Arden unter anderem russische Literaturgeschichte studierte, wurde mir schnell klar, warum ihr Stil mir so zu Herzen ging, denn hin und wieder habe ich da einen großen Tolstoi-Einfluss hindurch schimmern gesehen. Das erscheint im Genre der Fantasyliteratur im ersten Moment vielleicht etwas deplatziert, aber mal ganz ehrlich ... es kann immer nur ein Pluspunkt sein, wenn heutige Autoren von der großen Weltliteratur beeinflusst sind und diese (un-)bewusst in deren eigene Feder übergeht.
Ähnlich zum ersten Band birgt auch der vorliegende ein sehr in sich geschlossenes Erzählen: Das ist gut, wenn man die Bände mit etwas zeitlichem Abstand liest; es kann aber auch weniger erfreulich sein, wenn der Plot daher sehr vorhersehbar wird, weil zwangsweise alle Dinge, die neu eingeführt werden, etwas mit dem Ausgang der Geschichte zu tun haben. Das Foreshadowing ist sehr offensichtlich und einfach zu durchschauen, was den Lesespaß und die Spannung etwas abmildert, da man als Leser ständig darauf wartet, wann der Plottwist aufgelöst wird. Ich weiß nicht, ob das vielleicht daran liegt, dass der ursprüngliche amerikanische Verlag keine Risiken eingehen und erst einmal schauen wollte, wie sich Band eins verkauft, um auch die Folgebände festzumachen, sodass der erste Band notfalls auch als in sich abgeschlossene Geschichte hätte stehen können. Jedenfalls setzte eine übergreifende Handlungslinie - natürlich abgesehen von den Figuren, die wir durchweg verfolgen - erst im letzten Drittel dieses Buches ein. Ich persönlich bin kein großer Fan dieses beinahe episodischen Erzählens, aber - wer weiß - vielleicht konnte (beziehungsweise durfte) die Autorin nicht anders ...
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